Donnerstag, 30. November 2017

Staatsvertrag mit der Schweiz zur Krankenpflegeversicherung

Ein Abkommen mit Vorteilen, aber (noch) zu vielen Nachteilen


Es ist keine Frage, dass das Abkommen mit der Schweiz betreffend die gegenseitige Übernahme der Kosten für ambulante Leistungen der obligatorischen Krankenversicherung Nachteile aufweist. Es ist aber ebenso keine Frage, dass dieses Abkommen sowohl für Versicherte als auch für gewisse Leistungserbringer Vorteile beinhaltet. Deshalb wird es der Sache nicht gerecht, diesen Staatsvertrag mit der Schweiz pauschal zu verteufeln, ohne sich mit den Vorteilen konkret auseinanderzusetzen. 

Mit diesem Abkommen soll der freie Marktzugang für Patienten und Leistungserbringer zwischen der Schweiz und Liechtenstein eingeführt werden. Hierzu gehört beispielsweise, dass dieser freie Marktzugang für Liechtensteiner Physiotherapeuten, Chiropraktoren oder Apotheken den Vorteil bringt, in Zukunft Patientinnen und Patienten aus der Schweiz behandeln bzw. bedienen zu dürfen. Dies ist ihnen heute teilweise verwehrt. Man darf bei der gesamten Diskussion diesen Vorteil nicht unberücksichtigt lassen.

Dieser freie Marktzugang hat aber gleichzeitig den Nachteil, dass er zu ungleichen Spiessen zwischen der Schweiz und Liechtenstein führt. Der Grund für diese Ungleichheit liegt nicht in der Gesetzgebung der Schweiz, sondern hängt ausschliesslich mit der Liechtensteiner Bedarfsplanung zusammen. Um einen freien Marktzugang mit gleichlangen Spiessen zu schaffen, müsste die Liechtensteiner Bedarfsplanung aufgehoben werden. Dies ist für mich keine Alternative, da damit eine Mengenausweitung inklusive Kostensteigerung einher ginge, was zu einem überproportionalen Anstieg der Krankenkassenprämien führen würde. Damit würden alle Massnahmen, welche die letzten Jahre hinsichtlich einer Reduktion des Anstiegs der Gesundheitskosten umgesetzt wurden, torpediert. Somit lässt sich der freie Marktzugang, wie ihn die Regierung mit der Schweiz ausgehandelt hat, auf Basis des heutigen Krankenversicherungsgesetzes (KVG) nur mit ungleichen Spiessen umsetzen.

Dieses Abkommen bringt für alle OKP plus Versicherten, welche Leistungserbringer in der Schweiz aufsuchen, den Vorteil, dass sie in Zukunft keine OKP plus Versicherung mehr benötigen und somit ihre Krankenkassenprämien um CHF 40.-- pro Monat sinken. Dies hätte jedoch zur Folge, dass sie in Liechtenstein keinen Leistungserbringer mehr aufsuchen können, welcher nicht über die OKP-Zulassung verfügt. Eine Kündigung der OKP plus Verträge hätte für den Versicherten zwar keine Auswirkungen auf die freie Arztwahl in der Schweiz, jedoch auf jene in Liechtenstein. Somit wäre eine Kündigung nur für jene Versicherten attraktiv, welche von vornherein ausschliessen, einen Nicht-OKP-Arzt in Liechtenstein aufzusuchen.

Darin liegt aber auch der Nachteil dieses Abkommens bzw. die Ungleichheit bei der Arztwahl zwischen Schweizer und Liechtensteiner Leistungserbringern. Während ein Liechtensteiner Versicherter für Leistungserbringer in der Schweiz die freie Arztwahl besitzt, wäre diese im Inland - also in Liechtenstein - eingeschränkt. Dies könnte zu absurden Situationen führen, wenn beispielsweise ein Nicht-OKP-Arzt sowohl in Liechtenstein als auch in der Schweiz eine Praxis betreibt. Der Liechtensteiner Versicherte könnte dann die Praxis in der Schweiz aufsuchen, jene in Liechtenstein jedoch nicht. Deshalb ist es nicht auszuschliessen, dass Liechtensteiner Nicht-OKP-Ärzte ihre Praxis in die grenznahe Schweizer Region verlegen, um allen Liechtensteiner Patienten den Zugang zur eigenen Praxis zu ermöglichen. Wie viele Ärzte diesen Weg wählen, kann nicht vorhergesagt werden. Da ein solcher Umzug mit hohem bürokratischen Aufwand und zusätzlichen Steuerabgaben und somit höheren Kosten verbunden ist, wird jeder Arzt deshalb sehr genau abwägen, ob für ihn eine solche Umsiedlung der Praxis überhaupt Sinn macht. Die Anzahl an Praxen, welche diesen Schritt wählen, wird sich in Grenzen halten, darin teile ich die Einschätzung der Regierung. 

Trotzdem ist es nicht von der Hand zu weisen, dass dieses Abkommen das System der OKP plus teilweise aushebelt. Sollten alle OKP plus Versicherten ihren Vertrag künden, würde dies Mindereinnahmen von rund 3 % des Prämienvolumens ausmachen. Diese Mindereinnahmen müssten ausgeglichen werden, womit eine Erhöhung der OKP-Prämie im selben Ausmass nicht ausgeschlossen ist. Das heisst: Die finanziellen Einbussen durch die Kündigungen von OKP plus Verträgen müssten auch von den ausschliesslich OKP-Verischerten mitgetragen werden. Dass diese Entwicklung eintreten könnte, schliesst auch die Regierung nicht aus. In ihrem Bericht betont sie: 
"So ist es nicht auszuschliessen, dass die Anzahl jener Personen, die über eine erweiterte OKP verfügen, sich nach Inkrafttreten des Abkommens verringern könnte, was einen teilweisen Wegfall der Zusatzprämien und allenfalls eine (geringfügige) Steigerung der OKP-Grundprämien zur Folge hätte."
Es darf davon ausgegangen werden, dass nicht alle OKP plus Versicherten ihren Vertrag künden werden, womit sich diese Einnahmereduktion in Grenzen halten wird. Trotzdem ist es nicht ausgeschlossen, dass es durch die freie Arztwahl in der Schweiz zu einer Mengenausweitung und somit zu Kostensteigerungen kommt. Einnahmereduktion in Verbindung mit Mengenausweitung und Kostensteigerung ist die komplett falsche Entwicklung, welche dieses Abkommen aller Voraussicht nach herbeiführen wird.

Zudem muss davon ausgegangen werden, dass  mehrheitlich die unteren Einkommen über einen reinen OKP-Vertrag verfügen, da diese Einkommensklasse die CHF 480.-- pro Jahr, welcher ein OKP plus Vertrag zusätzlich kostet, finanziell gar nicht stemmen kann. Somit hätte dies zur Folge, dass die unteren Einkommen höhere Prämien bezahlen müssten, weil die mittleren und höheren Einkommen den OKP plus Vertrag künden und CHF 480.-- pro Jahr einsparen. Das ist auch sozialpolitisch für mich keine Alternative.

Aus diesem Grunde stehe ich diesem Abkommen sehr skeptisch bis ablehnend gegenüber. Das Abkommen an sich zielt mit der Einführung des freien Marktzugangs zwischen der Schweiz und Liechtenstein in die richtige Richtung. Das heutige Liechtensteiner Krankenversicherungsgesetz korreliert jedoch nicht mit dem Abkommen, weshalb daraus etliche Nachteile entstehen, die zu Ungleichheiten führen. 

Vielmehr müsste überlegt werden, wie das Liechtensteiner Krankenversicherungsgesetz abgeändert werden kann, damit es mit dem Abkommen kompatibel ist und der freie Marktzugang nicht nur in der Schweiz, sondern auch in Liechtenstein zum Tragen kommt. Hierfür scheint es mir angebracht, die OKP plus Vorschriften zu prüfen. Es muss abgeklärt werden, ob die OKP plus Regelung im Liechtensteiner Krankenversicherungsgesetz derart angepasst werden kann, damit sie dem freien Marktzugang mit gleichlangen Spiessen entspricht. Dabei gilt es darauf zu achten, dass dies ohne Abschaffung der Bedarfsplanung geschieht. Dann könnten Leistungserbringer wie Versicherte vom den freien Marktzugang profitieren und zwar mit gleichlangen Spiessen zwischen der Schweiz und Liechtenstein. Der Ratifikation dieses Staatsvertrages mit der Schweiz würde nichts mehr im Wege stehen und die Vorteile, welche dieses Abkommen für die Versicherten wie Leistungserbringer beinhaltet, voll zum Tragen kommen.

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