Donnerstag, 5. März 2020

eCall-System in Fahrzeugen

Bevölkerung wird Entscheidungskompetenz entzogen

Landtagsvotum zum Kommunikationsgesetz und die Einführung des eCall-Systems

In verschiedenen Artikeln der Vorlage zum Kommunikationsgesetz kommt das sogenannte «eCall» zur Sprache. Seit dem 31. März 2018 ist der automatische Notruf eCall für neu typengeprüfte Personen- und Lieferwagen in Europa obligatorisch. eCall basiert auf der einheitlichen europäischen Notrufnummer 112 und wird vom Fahrzeug bei einem Unfall automatisch ausgelöst, kann aber auch manuell betätigt werden. Die Schweiz hat dieses eCall-System ebenfalls übernommen. Insofern ist das eCall-System sicherlich hilfreich. Deshalb macht es Sinn, mit der vorliegenden Änderung des Kommunikationsgesetzes die Grundlagen für eine reibungslose Funktionalität des eCall-Systems in Liechtenstein zu schaffen.

Ich habe im Rahmen einer Kleinen Anfrage von März 2018 dieses eCall-System bereits thematisiert und auch in der 1. Lesung zu dieser Vorlage auf meine Bedenken hingewiesen. Für mich stimmt dieses eCall-System nicht mit Art. 47 Abs. 3 Strassenverkehrsgesetz (SVG) überein. In diesem Artikel des Strassenverkehrsgesetzes steht zum Verhalten bei Unfällen: «Ist nur ein Sachschaden entstanden, so hat der Schädiger sofort den Geschädigten zu benachrichtigen und Namen und Adresse anzugeben. Wenn dies nicht möglich ist, hat er unverzüglich die Polizei zu verständigen.» Das heisst nichts anderes als bei Verkehrsunfällen, bei denen nur Sachschaden entstanden ist, nicht zwingend die Polizei hinzugezogen werden muss. Die Polizei muss nur gerufen werden, wenn der Geschädigte nicht benachrichtigt werden kann.

Tatsache ist aber, dass nun das eCall-System dazu führen kann, dass die Polizei mittels automatischen eCall-Anruf auch bei Unfällen verständigt wird, bei welchen gemäss Art 47. Abs. 3 des Strassenverkehrsgesetzes eine Verständigung der Polizei gar nicht vorgeschrieben ist. Somit führt eine neue technische Errungenschaft dazu, dass die Entscheidungskompetenz der Bevölkerung ausgehölt wird und unter Umständen Strafen bis hin zu Führerscheinentzügen ausgesprochen werden, obwohl eine gesetzliche Bestimmung des Strassenverkehrsgesetzes vorgibt, dass die Polizei gar nicht hätte verständigt werden müssen.

Die Regierung schreibt hierzu in ihrem Bericht für die 2. Lesung auf den Seiten 7 und 8: «Es trifft zu, dass durch das eCall-Notrufsystem die Landespolizei in Einzelfällen auch dann verständigt wird, wenn die Voraussetzungen des Art. 47 SVG nicht vorliegen, d.h. wenn trotz schwerer Kollision keine Personen verletzt wurden und die Fahrzeuglenker somit nicht verpflichtet sind, die Landespolizei zu verständigen. Bereits nach der heutigen Praxis wird aber die Landespolizei meist auch durch nicht beteiligte Dritte ohne Kenntnis der involvierten Fahrzeuglenker über den Unfall verständigt. Das Legalitätsprinzip des Strafprozessrechts verlangt in diesen Fällen, dass die Landespolizei auch dann tätig wird, wenn die Unfallbeteiligten dies nicht wünschen.»

Die Regierung lehnt es ab, Art. 47 Strassenverkehrsgesetz diesbezüglich abzuändern. Dies werde nicht als notwendig erachtet, «da das eCall-Notrufsystem an diesen Grundsätzen nichts ändern soll und zum anderen die Landespolizei bereits heute aufgrund des Legalitätsprinzips tätig werden muss, wenn Dritte die Polizei über eine Kollision verständigen, auch wenn dies die Unfallbeteiligten im Einzelfall nicht wünschen», so die Regierung in ihrem Bericht.

Die Argumentation der Regierung und der Verweis auf das Legalitätsprinzip mag zwar formell richtig sein, doch in der Praxis spätestens seit dem 7. August 2019 nicht mehr umsetzbar. An diesem 7. August 2019 hat das Obergericht ein Urteil gefällt, mit welchem eine Person freigesprochen wurde, welche einen Unfall gemäss Art. 47 Abs. 3 hatte. Die Polizei wurde durch einen Dritten, der an der Unfallstelle vorbeifuhr, verständigt. Bis die Polizei kam, war die Unfallstelle geräumt. Die Staatsanwaltschaft hat Anklage wegen unzulässigem Entfernen von der Unfallstelle und vorsätzlichen Verhindern einer Blutprobe erhoben. In 2. Instanz wurde die Person freigesprochen. Dies mit der Begründung: «Zu Recht macht der Berufungswerber geltend, dass er zur Meldung des erlittenen Selbstunfalles nicht verpflichtet war. Die Meldepflicht gemäss Art. 47 Abs. 2 scheidet aus, weil keine Personen verletzt wurden, jene nach Art. 47. Abs. 3 SVG deswegen, weil kein Drittschaden entstand.» Im Urteil resümiert das Obergericht, dass der Beschuldigte freizusprechen sei, weil er nicht verpflichtet war, den erlittenen Selbstunfall der Landespolizei zu melden. Das Urteil ist rechtskräftig.

Dies bedeutet nichts anderes, als wäre in diesem Auto bereits das eCall-System eingebaut gewesen, die Polizei gekommen wäre und dies für den Lenker unter Umständen eine Strafe oder sogar einen Führerscheinentzug zur Folge gehabt hätte.

Dieses Urteil belegt, dass die Argumentation der Regierung mit Bezug auf das Legalitätsprinzip nicht stimmig ist und das eCall-System die Entscheidungskompetenz der Bevölkerung mindert und die Stellung des Staates gestärkt wird. Wie will die Regierung in Zukunft mit Unfällen gemäss Art 47. Abs. 3 des Strassenverkehrsgesetzes umgehen, wenn sie mittels eCall-System zur Unfallstelle gerufen wurde? Darauf gibt die Regierung in ihrem Bericht keine Antwort. Ich kann dieser Begleiterscheinung und dieser Minderung der Entscheidungskompetenz der Bevölkerung in Bezug auf die Einführung des eCall-Systems nicht zustimmen.

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