Mittwoch, 6. November 2019

Digitalisierung der Schulen

iPads im Kindergarten einzusetzen ist falsch

Landtagsvotum zur Abgabe von digitalen Endgeräten an die Schülerinnen und Schüler

Ich danke den Interpellanten für die Einreichung dieser Interpellation, die ich als sehr wichtig erachte, geht es doch bei diesem Thema um nichts weniger als die Ausbildung unserer Kinder und Jugendlichen. Ich bin froh, dass der Landtag mittels dieser Interpellationsbeantwortung noch eine Diskussion über das Vorhaben der Regierung in Bezug auf die Digitalisierung der Schulen und des Unterrichts führen kann. Eigentlich wäre es angezeigt gewesen, diese Diskussion früher zu führen. Ich hätte mir gewünscht, dass die Regierung die hierfür benötigten Gelder von über CHF 10 Mio. nicht nur über den Voranschlag vom Landtag genehmigen hätte lassen, sondern mittels eigenen Finanzbeschluss, damit eine grundlegende Diskussion stattfinden hätte können. Jetzt ist der Mist eigentlich geführt und wir werden eine Diskussion ohne grosse Wirkung führen.

Das wird dem Thema eigentlich nicht gerecht, beschäftigt doch die Digitalisierung des Unterrichts und die Ausstattung unserer Bildungseinrichtungen unserer Schülerinnen und Schüler mit Tablets und Notebooks gerade im ersten Halbjahr 2019 enorm viele Eltern. Es waren etliche kritische und gegenüber dem Vorhaben der Regierung sehr skeptische Stimmen zu hören und in den Leserbriefspalten zu lesen. Die Vorträge von Prof. Manfred Spitzer im SAL in Schaan und jener von Prof. Konrad Paul Liessmann an der Privatschule Formatio sorgten für Aufsehen, äusserten doch beide höchste Bedenken gegen das Vorhaben der Regierung. Die Unsicherheit hinsichtlich der Auswirkungen auf die Kinder und Jugendlichen wuchs.

Meines Erachtens wird die Interpellationsbeantwortung der Regierung dieser Unsicherheit nicht gerecht. Kritische Stimmen aber auch kritische wissenschaftliche Untersuchungen und Studien werden negiert und wenn nur am Rande erwähnt, ohne konkrete Auseinandersetzung mit den Inhalten. Argumente der Kritiker werden ausgeblendet und es werden nur jene Fakten aufgeführt, welche das Vorhaben der Regierung stützen. Für mich ist diese Interpellationsbeantwortung eine verpasste Chance, eine vollumfängliche Gesamtschau inklusive aller Vor- und Nachteile, positiven wie negativen wissenschaftlichen Untersuchungen darzulegen und somit auf die vielfach geäusserten Bedenken der Eltern einzugehen. Beispielsweise kommt der Name von Prof. Spitzer in der gesamten Interpellationsbeantwortung nur einmal vor und dies auch nur um mitzuteilen, dass er zur Gruppe jener gehöre, welche eine kulturpessimistische Position einnähmen. Auf die kritischen Ausführungen von Spitzer und Liessmann wird mit keinem Wort eingegangen, obwohl diese Vorträge wohl Ursache der Interpellation waren und mit dazu beitrugen, dass viele Eltern das Vorhaben der Regierung kritisch beäugen und sich Unsicherheit breit machte. Eine Auseinandersetzung mit den geäusserten und die Eltern verunsichernden Positionen und Argumenten findet nicht statt. Das hätte ich eigentlich erwartet.

Für mich steht es ausser Frage, dass die Digitalisierung in die Schulen unseres Landes Einzug halten muss. Alles andere würde einem Augen’ verschliessen’ vor der Realität gleichkommen und würde auch einer Vorbereitung auf die Arbeitswelt, für welche die Schulen ebenfalls verantwortlich sind, nicht entsprechen. Vieles was mit Digitalisierung zu tun hat, ist heute Grundvoraussetzung, um in der Arbeits- und Berufswelt bestehen zu können. Dass die Schulen unseres Landes hierfür die Grundlagen bilden müssen, steht für mich ausser Frage, weshalb ich das Vorhaben der Regierung in den Grundzügen unterstützte.

Meines Erachtens liegt die Krux dieses Themas im Detail. Es gilt einerseits zwischen den Schulstufen und andererseits zwischen den Zielen, welche mit der verstärkten Nutzung der Digitalisierung mittels iPads sowie Notebooks an den Schulen einher gehen sollen, zu differenzieren.

In Bezug auf die Schulstufen bin ich anderer Ansicht als die Regierung. Im Kindergarten sowie zumindest in den ersten zwei Primarschulstufen beschreitet die Regierung für mich den falschen Weg. Für mich gehören iPads weder in den Kindergarten noch in die ersten beiden Primarschulklassen. Zahlreiche Professoren vertreten die Ansicht, dass die Kinder entwicklungs- und lernpsychologisch noch gar nicht so weit seien, um einschätzen zu können, was sie mit den Geräten eigentlich tun. Wie die Regierung zur Schlussfolgerung gelangen kann, dass es ein von der Gesellschaft getragener Grundsatzentscheid sei, dass Medien und Informatik bereits im Kindergarten Eingang finden, wie sie auf Seite 21 schreibt, entzieht sich meiner Kenntnis. Die vielen kritischen Stimmen und Leserbriefe im ersten Halbjahr dieses Jahres lassen zumindest für mich keinen von der Gesellschaft getragenen Grundsatzentscheid erkennen. Ich finde diese Entscheidung und dieses Vorhaben falsch.

Eher befürworten kann ich die geplanten Massnahmen für die oberen Primarschulklassen und die weiterführenden Schulen. Ich finde es zielführend, dass Mediennutzung und Informatik verstärkt in den Lehrplan aufgenommen werden. Es ist wichtig, dass die Kinder wissen, wie das Internet funktioniert, welche Gefahren es bereithält, wie die Informationsvermittlung funktioniert und welche Auswirkungen ein einzelner Facebook- oder Instagram-Post haben kann. Auch in Bezug auf den Schutz vor Cyber-Mobbing erachte ich dieses Vorgehen als richtig und wichtig.

Bedenken bereitet mir das Vorhaben, an jede Schülerin und jeden Schüler der Primarschule ein Tablet abzugeben. Meines Erachtens wird damit über das Ziel hinausgeschossen, gefühlsmässig hätte es für mich auch genügt, mehrere Tablets pro Primarschulklasse abzugeben. Unterstützen kann ich das Vorhaben, die Schülerinnen und Schüler der weiterführenden Schulen mit Notebooks auszurüsten. Dies ist sicher sinnvoll.

Das Vorhaben der Regierung ist die eine Sache, die Umsetzung die andere. Diesbezüglich ist der zeitliche Umfang der Nutzung der Endgeräte eine entscheidende Frage. Im Zentrum muss die Bildung bzw. Ausbildung der Kinder und Jugendlichen stehen. Es geht nicht um Selbstzweck, sondern um die Frage, was das Beste für die Schülerinnen und Schüler ist. Diesbezüglich bin ich vom Vorhaben der Regierung noch nicht restlos überzeugt. Die OECD hat 2015 erstmals untersucht, ob die Digitalisierung des Unterrichts überhaupt Erfolge zeitigt. Der Befund war, dass PC’s und Internet keine positiven Auswirkungen auf die Performance von 15- und 16-Jährigen in Mathematik, Naturwissenschaften und Lesen haben. Im Gegenteil: In jenen Ländern, in denen zwischen 2003 und 2012 überdurchschnittlich stark in schulische Hardware investiert wurde, haben sich die Lernerfolge in Mathematik im selben Zeitraum tendenziell verschlechtert. In Ländern, in denen Computer im Unterricht nicht flächendeckend eingesetzt werden, konnten Schüler ihre Lesefähigkeit im Schnitt rascher verbessern als in Ländern, in denen Laptops zur Normalausstattung zählen.

Ich hätte mir gewünscht, dass in der Interpellationsbeantwortung auf solche Untersuchungen eingegangen worden wäre. Leider findet diese Studie, die immerhin von der OECD stammt, überhaupt keinerlei Erwähnung, sie wird verschwiegen.

Denn es dürfte klar sein, dass der Einsatz digitaler Hilfsmittel allein nicht automatisch zur besseren Bildung führt. Ein Tablet oder Notebook für jedes Kind macht noch keine digitale Bildung aus. Diese Endgeräte sollen Hilfsmittel sein und so eingesetzt werden, dass sie für die Kinder und Jugendlichen und für niemanden anderen zum Vorteil gereichen.

Eine grosse Verantwortung wird diesbezüglich den Lehrern zukommen. Die Regierung hat erkannt, dass es mehr Aus- und Fortbildung braucht. Man darf nämlich nicht ausser Acht lassen, dass sich damit auch die Rolle der Lehrer teilweise verändert. Bisher war der Lehrer der einzige Wissensbringer in einer Klasse. In Zukunft wird er vermehrt die Rolle eines Moderators eines Wissenserwerbs über das Netz werden. Stutzig gemacht haben mich diesbezüglich die Aussagen des Primarlehrers Rolf Marxer im Volksblatt vom 9. Februar dieses Jahres. Er sagte: «Die Stimmung unter den Lehrern ist dementsprechend angespannt, sie hätten sich mehr Zeit bis zur Einführung des Lehrplanes und damit auch für die eigene Vorbereitung gewünscht.». Darüber hinaus äussert er die Sorge, dass es zwar richtig sei, dass sich Lehrpläne an gesellschaftliche Veränderungen anpasse, aber dass dadurch auch immer mehr Lerninhalte generiert würden, welche von den meisten Kindern kaum zu bewältigen seien. Deshalb habe man, um den Gesamtumfang der Lektionen nicht zu erhöhen, Module von musischen Fächern reduziert. Er fände das sehr schade, «denn das sind Fächer, die vielen Kindern Freude bereiten und nicht so leistungsorientiert sind», so seine Worte. Ich finde, dass man solche Stimmen ernst nehmen und nicht einfach mit Unverständnis abtun sollte, wie es das Ministerium gemacht hat.

Es ist notwendig, die Möglichkeiten auszuloten und auch die Lehrenden in die Lage zu versetzen zu erkennen, in welchem Kontext welche Hilfsmittel wie eingesetzt werden, um das Lernen zu erleichtern. Und diesbezüglich scheint es bei uns, wenn ich den Worten von Rolf Marxer glauben darf, noch Defizite zu geben. Man muss meines Erachtens die Digitalisierung der Bildung in ein pädagogisches Konzept einbetten und die Lehrerinnen und Lehrer motivieren, die neuen technischen Möglichkeiten und die Endgeräte sinnvoll, aber dosiert einzusetzen. Aus der Interpellationsbeantwortung kann ich entnehmen, dass sich die Regierung dem sehr bewusst ist und auch in diese Richtung tendiert.

Bildung bedeutet nicht digitaler Unterricht, sondern nur die Verwendung digitaler Lehrmittel. Dann überwiegen die Vorteile gegenüber den Nachteilen. Digitalisierung ist kein Qualitätsmerkmal von Bildung, sondern eine technische Methode zur Informationsvermittlung. Information ist aber nicht gleichzusetzen mit Wissen. Das Aneignen von Wissen muss im Zentrum stehen und das lässt sich nicht digitalisieren.

Ich bitte die Regierung höchste Aufmerksamkeit auf diese Entwicklung zu legen. Es kommt nämlich nicht von ungefähr, dass in manchen Ländern Tablet-Klassen wieder verschwinden. Es braucht eine ständige Evaluation der Entwicklung, zu welcher auch die sicher wachsende Anzahl an wissenschaftlichen Untersuchungen gehören wird. Im Gegensatz zur Interpellationsbeantwortung müssen auch die kritischen Stimmen gehört werden und ihre Argumente in diesen steten Evaluationsprozess einbezogen werden. Es gibt Studien, welche ein erhöhtes Ablenkungspotential, eine abnehmende Konzentrationsfähigkeit sowie Nachteile auf Kreativität und Fantasie bei Kindern und Jugendlichen ausmachen. Auch darauf sollte geachtet werden.

Es hat keinen Sinn, die Schule zum digitalfreien Raum zu machen, wenn rundherum Geräte das Leben der Kinder mitbestimmen. Weder verdammen noch hochjubeln ist der richtige Weg. Der Mittelweg macht die Musik. Digitalisierung um der Digitalisierung willen darf nicht die Intention sein. Im Zentrum hat das Aneignen von Wissen unserer Kinder und Jugendlichen zu stehen. Daran hat sich die Digitalisierung unserer Bildungseinrichtungen zu richten und sich den daraus ergebenden Vor- wie Nachteilen ständig, als laufender Prozess anzupassen.

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