Mittwoch, 2. Dezember 2020

Kostenloser öffentlicher Verkehr in Liechtenstein

Gratis ÖV: Ja bis zum 18. Lebensjahr und AHV-Bezüger

Landtagsvotum zur Petition 'Gratis ÖV in Liechtenstein'

‘Nulltarif: Der Umsteige-Effekt auf Postautos ist vorhanden’ - dies war am 15. September 1988 die Headline auf Seite 1 des Volksblatts. Immer wieder war im Verlauf des Jahres 1988 zu lesen, dass der Nulltarif zu einer erhöhten Nutzung des öffentlichen Verkehrs geführt habe. ‘Die Postautos werden viel mehr als früher benützt’, ‘Nulltarif führte zu merklicher Zunahme der Postautobenützung’ oder ‘Mehr Umsteiger als allgemein erwartet’ - nur drei Schlagzeilen des Jahres 1988. 

Trotzdem entschied sich die damalige Regierung, diesen Nulltarif-Versuch nach einem Jahr abzubrechen und per 1. Januar 1989 ein attraktives Tarifsystem einzuführen. Der damalige Regierungsrat Wilfried Büchel führte hierzu am 11. November 1988 im Volksblatt aus:
«Aufgrund der Erfahrungen mit dem versuchsweise für ein Jahr eingeführten Nulltarif und der Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleituntersuchungen wurde die Regierung in der Auffassung bestärkt, dass eine attraktive Tarifgestaltung zur vermehrten Benutzung des öffentlichen Verkehrs beiträgt und - wie die vorliegende Studie belegt - auch sogenannte Umsteigeeffekte erzielt werden können.»
Er sollte Recht behalten, wie aus dem Ergebnisbericht ‘Nulltarif im öffentlichen Verkehr’, welcher der Verkehrsbund Vorarlberg in Auftrag gegeben hat und der 2008 veröffentlicht wurde, entnommen werden kann. In diesem werden die Ergebnisse dieser Nulltarif-Versuchsphase von 1988 auch im langfristigen Kontext analysiert. Hierbei wurde festgestellt, dass es bereits im Vorfeld des Nulltarifs Fahrgastzuwächse gab. Dies deshalb, weil im Mai 1987 ein Fahrplanwechsel durchgeführt wurde, mit welchem das Fahrplanangebot um 30 % erweitert wurde. Zwar konnte durch den Nulltarif ein Anstieg an ÖV-Nutzern festgestellt werden, der jedoch auch nach diesem Versuchsjahr und mit dem neuen Tarifsystem ab 1989 weiter zunahm. Dies deshalb, weil das Angebot kontinuierlich und konsequent ausgebaut wurde. Wurden im Jahr 1985 noch knapp eine Million Kilometer gefahren, so betrug die Jahreskilometerleistung im Jahr 2006 über 2.5 Millionen Kilometer. Heute sind wir bei drei Millionen Kilometer.

Die Autoren des Erlebnisberichtes resümieren das Versuchsjahr 1988. Sie führen einerseits aus, dass Fahrgäste offensichtlich erstaunt darüber gewesen seien, wie bequem man mit den Postautos Distanzen überbrücken kann, was sie zuvor angezweifelt bzw. gar nicht gewusst hätten. Andererseits stellen sie fest, dass aus den Intensivinterviews klar herausgekommen sei, dass das Image des Busses deutlich verbessert worden sei. Die Menschen hätten sich nicht mehr so exponiert gefühlt, wenn sie an einer Haltestelle gestanden seien, so die Rückmeldung der Befragten.

Kurzum: Der Nulltarif-Versuch von 1988 war eine super PR-Aktion, mit welcher Berührungsängste gegenüber dem öffentlichen Busangebot abgebaut und die Erfahrungen der Bevölkerung ausgebaut wurden. Darin und in der Erweiterung des Angebots lagen die Hauptgründe, dass die Zahlen der Busbenutzung auch nach 1988 mit einem einfachen Tarifsystem hoch blieben bzw. sogar noch gesteigert werden konnten.

Es gab aber auch Probleme. Die zusätzlichen Fahrgäste konnten nur mit Mühe bewältigt werden, Gäste aus der Schweiz nutzten die Freifahrt für einen günstigen Ausflug ins Berggebiet, der Bus wurde auch für kurze Fahrten benutzt, was besonders in Vaduz zu Überfüllungen führte. Es ging mit dem Nulltarif ein Steuerungsinstrument verloren. Dies waren die Hauptgründe, weshalb die Regierung 1988 beschloss, den Versuch einzustellen. Die Probleme nahmen Überhand. Darüber hinaus gab es Probleme mit den grenzüberschreitenden Linien nach Feldkirch, Buchs, Trübbach oder Sargans, da in der Schweiz und Österreich kein Nulltarif galt. Diese Probleme müssten auch bei einer neuerlichen Einführung eines gratis ÖV und somit bei Umsetzung der Petition zuerst genauestens evaluiert und regionale Lösungsmöglichkeiten erarbeitet werden.

Die Autoren des Erlebnisberichtes resümieren: «Als längerfristige Lösung ist der Nulltarif am Beispiel Liechtensteins nicht geeignet.» Über die Gründe, welche zu diesem Ergebnis führen, wird ausgeführt, dass der Nulltarif gar nicht geeignet ist, um die Fahrgäste beim ÖV zu halten. Dies zeige die Fahrgastentwicklung nach Beendigung des Versuchs. Der alleinige Beitrag eines Nulltarifs zur Lösung der Umwelt- und Verkehrsprobleme sei jedoch bescheiden bzw. nur dann spürbar, wenn parallel zum Nulltarif Restriktionen im motorisierten Individualverkehr umsetzbar seien bzw. Infrastruktur eingespart werden könne.

Weiters wird erwähnt, dass in einer wissenschaftlichen Studie vier Nulltarifprojekte analysiert worden seien. Darin sei festgestellt worden, dass bei grösseren Entfernungen es zu einem bedeutenden Umstieg vom PKW-Verkehr kommen könne. Auf Kurzstrecken gewinne der ÖV vielfach vor allem auf Kosten des nicht motorisierten Verkehrs. Nulltarif habe diesbezüglich sogar negative Umwelteffekte.

Die Frage, ob dann noch Nutzen und Ertrag im Gleichgewicht stehen, stellt sich, zumal die Autoren des Ergebnisberichtes unterstreichen, dass der Nulltarif die relativen Preise zu den Radfahrern und Fussgängern verschlechtere. Durch ihn wird Mobilität in Relation zu den restlichen Gütern zu billig, was bis hin zu unerwünschten und auch ineffizienten Auswirkungen auf die räumliche Struktur führen könne. Mit der alleinigen Einführung des Nulltarifs könne die gewünschte Veränderung im Modal-Split nicht erreicht werden. In Bezug auf den Aktivverkehr sei die Wirkung sogar kontraproduktiv. Dies bedeutet nichts anderes, als der Nulltarif den Langsamverkehr und damit den Fahrrad- und den Fussgängerverkehr konkurrenziert. Wollen wir das? Das kann nicht im Sinne des Erfinders sein.

Mit einem Nulltarif werden wir auch den Staatsbeitrag für LIECHTENSTEINmobil massiv erhöhen müssen - und das jährlich. Gemäss Geschäftsbericht 2019 von LIECHTENSTEINmobil betrugen die Einnahmen aus Fahrschein- und Aboverkauf sowie aus der Fahrscheinkontrolle rund CHF 5.6 Mio. 2018 waren es noch rund CHF 5.1 Mio. Sollten wir - wie auch im Mobilitätskonzept 2030 vorgesehen - die Attraktivität von LIECHTENSTEINmobil erhöhen und ihr Angebot erweitern, werden wir nicht umhin kommen, den Staatsbeitrag an LIECHTENSTEINmobil um rund CHF 6 Mio. jährlich zu erhöhen. Dies umso mehr, als die Einsparungen bei den Vertriebskosten gering sind, da für die grenzüberschreitenden Linien weiterhin eine Verkaufsinfrastruktur notwendig sein wird.

Aus all diesen Gründen geht mir die Variante 1 des Petitionärs, ein ständiger gratis ÖV für alle, zu weit. Nutzen und Ertrag stehen nicht im Verhältnis. Zudem könnte es geschehen, dass sich der gewünschte Effekt sogar nachteilig auf den Langsamverkehr auswirkt. Dies würde somit auch zahlreiche Massnahmen des Mobilitätskonzeptes 2030 in Bezug auf den Langsamverkehr in Frage stellen, was nicht zielführend ist.

Interessant ist hingegen die vom Petitionär vorgeschlagene Variante 2 betreffend gratis ÖV zumindest für alle AHV-Bezüger sowie für Schüler, Studenten und Lehrlinge auch am Wochenende, was heute nicht angeboten wird. Für mich wäre dies eine Alternative und zugleich auch zumindest in Bezug auf die Schüler, Studenten und Lehrlinge eine familienpolitische Massnahme. Dies kann man auch vereinfachen, indem man den öffentlichen Verkehr bis zum 18. Lebensjahr gratis zur Verfügung stellt. Das Problem der grenzüberschreitenden Linien und wie dieser in Bezug auf Tarifierung ausgestaltet sein soll, stellt sich aber auch dann.

Doch jede Art des Nulltarifs wird nur die gewünschte Wirkung erzielen, wenn damit auch flankierende Massnahmen einhergehen. Gerade bei AHV-Bezüger wird der gewünschte Effekt ohne Attraktivitätssteigerung nicht erzielt werden können. AHV-Bezüger fahren nicht vermehrt Bus, nur weil er gratis ist, da für sie beispielsweise auch der Fussweg zur nächsten Bushaltestelle oft zu weit sein kann. Wenn wir wollen, dass mehr Leute Bus fahren, muss der Bus zu den Leuten. Wir können nicht von den Leuten erwarten, dass sie teilweise lange Strecken zu Fuss auf sich nehmen müssen, um zur nächsten Bushaltestelle zu gelangen.

In Bezug auf eine gute verkehrstechnische Anbindung spielt oft auch die Zeit, die benötigt wird, um von A nach B zu kommen, bei der Wahl des Verkehrsmittels eine entscheidende Rolle. Der Ausbau des Busangebotes und die Busbeschleunigung inkl. Ausbau von Busspuren sowie die Erweiterung und Harmonisierung des Ortsbusnetzes sind zentral und haben vermutlich den grösseren gewünschten Umsteigeeffekt als die Installation eines Gratisangebotes.

Der nun aber entstehende und teilweise bereits vorhandene Flickenteppich bei den Ortsbussen ist wieder nachteilig. Wir sollten uns schon das Ziel setzen, dass alle Ortsbusse gleiche Grundvoraussetzungen anbieten und der Ortsbus in Vaduz nicht anders organisiert ist als beispielsweise jener in Eschen. Der eine ist Teil von LIECHTENSTEINmobil und kostet, der andere ist selbstständig und kostenlos. Das kann es in einem solch kleinen Land nicht sein und ist auch dem Ziel, mehr Leute zu animieren den ÖV zu benutzen, nachteilig.

Ich werde die Petition an die Regierung überweisen. Sofern sie sich der Petition annimmt, ist es jedoch ökonomisch wie ökologische Effizienter, den Fokus auf die Variante 2 zu richten. Aber auch dann wird es notwendig sein, flankierende Massnahmen bezüglich Attraktivitätssteigerung des LIECHTENSTEINmobil-Netzes zu installieren, um den gewünschten Umsteigeffekt zu erreichen. Ein Ausbau des Angebotes, Massnahmen zur Busbeschleunigung und Busspuren an verkehrstechnisch neuralgischen Orten müssen dann mit der Einführung eines zeitlich beschränkten Gratisbusses für gewisse Altersgruppen einher gehen.

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