Mittwoch, 2. Dezember 2020

Bezahlte Elternzeit

Vereinbarkeit von Familie und Beruf: Nun sind Taten gefordert

Landtagsvotum zur Interpellationsbeantwortung bezahlte Elternzeit

Die Interpellationsbeantwortung zur Finanzierung einer bezahlten Elternzeit zeigt deutlich auf, dass die Diskussion um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nur im Spannungsfeld zwischen Notwendigkeit und Kosten geführt werden kann. Die Notwendigkeit Massnahmen zur Verbesserung der Situation einzuleiten und umzusetzen wird nicht angezweifelt. Bei der Frage ‘Wer soll das bezahlen?’ gehen dann die Meinungen teilweise stark auseinander.

Die bezahlte Elternzeit ist nur ein Lösungsansatz, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu fördern. Sie ist aber jene Massnahme, die sicher kommen wird, und zwar zeitnah. Dafür sorgt die EU-Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige. Diese haben wir umzusetzen. Deshalb danke ich den Interpellanten für diese Interpellation und der Regierung für deren Beantwortung. Sie zeigt auf, in welcher Grössenordnung Kosten entstehen könnten. Die Vorgabe der Interpellanten von einer bezahlten Elternzeit von vier Monaten, welche mit 80 % des Medianlohns vergütet wird, generiert Lohnkosten in der Grössenordnung von rund CHF 30 Mio.. Weitere Kosten, welche den Arbeitgebern durch Abwesenheiten von Arbeitnehmern entstehen könnten, sind darin noch nicht inkludiert.

Die EU-Richtlinie gibt zwar den Rahmen vor, überlässt den Mitgliedsstaaten aber weite Teile der konkreten Umsetzung. So macht beispielsweise die Richtlinie keine Vorgaben in Bezug auf die Höhe der Vergütung der Elternzeit. In Punkt 29 der EU-Begründung kann nachgelesen werden:
«Um die Inanspruchnahme der in dieser Richtlinie festgelegten Urlaubszeiten für Arbeitnehmer, die Eltern sind, insbesondere für Männer, noch attraktiver zu machen, sollten die Betroffenen während des Urlaubs Anspruch auf eine angemessene Vergütung haben.»
Die EU spricht von ‘angemessener Vergütung’. Es wird einen politischen Entscheid benötigen, was unter angemessener Vergütung verstanden wird. Somit werden jene Abgeordneten, die am 7. Februar in dieses Haus gewählt werden, zu entscheiden haben, welche Höhe der Lohnfortzahlung als angemessene Vergütung bezeichnet werden kann. 

Dies ist jedoch nur eine Entscheidung, die gefällt werden muss. Die EU macht auch bei anderen Bereichen Vorgaben, überlässt aber die konkrete Ausgestaltung sehr oft den Mitgliedsländern. Vaterschaftsurlaub und der Urlaub für pflegende Angehörige sind nur zwei Beispiele hierzu.

Des Weiteren berücksichtigt die EU in Punkt 48 der Begründung der Richtlinie auch die Auswirkungen auf die Klein- und Mittelbetriebe. Sie führt aus: 
«Bei der Umsetzung dieser Richtlinie sollten die Mitgliedstaaten sich darum bemühen, keine administrativen, finanziellen oder rechtlichen Auflagen vorzuschreiben, die der Gründung und dem Ausbau von KMU entgegenstehen oder Arbeitgeber einer unverhältnismässigen Belastung aussetzen. Deshalb werden die Mitgliedstaaten aufgefordert, die Auswirkungen ihres Umsetzungsrechtsakts auf KMU sorgfältig zu prüfen, um zu gewährleisten, dass alle Arbeitnehmer gleichbehandelt werden, dass KMU und insbesondere Kleinstunternehmen nicht unverhältnismässig beeinträchtigt werden und dass unnötiger Verwaltungsaufwand vermieden wird. Die Mitgliedstaaten sind dazu angehalten, Anreize für KMU zu schaffen und ihnen Orientierung und Beratung bei der Einhaltung der in dieser Richtlinie verankerten Verpflichtungen anzubieten.»
Dieser Punkt 48 wird bei der Umsetzung der Richtlinie noch grosse Bedeutung erlangen. In der Regierungsbroschüre zur den Wirtschafts- und Finanzdaten zu Liechtenstein per 31. Mai 2020 werden die neusten Daten zur Unternehmens- und Arbeitsplätzestruktur ausgewiesen. 88% der 4’878 Unternehmen haben weniger als zehn Beschäftigte; 98% weniger als 50. Es ist augenfällig, welche Bedeutung der Punkt 48 der EU-Begründung bei der Umsetzung dieser Richtlinie haben wird, gerade für unser Gewerbe und unsere Kleinst-, Klein- und Mittelbetriebe (KMU).

Meines Erachtens ist es von grundlegender Bedeutung, dass den Ausführungen in der EU-Richtlinie zu den KMU’s höchste Bedeutung beigemessen wird. Sollte die Einführung der bezahlten Elternzeit zu Problemen für die KMU’s führen, besteht die Gefahr, dass junge Menschen, die sich mitten in der Familienplanung befinden, bei KMU’s unseres Landes nur sehr schwer eine Arbeitsstelle finden. Denn mit dieser Richtlinie geht ja nicht nur die Einführung der bezahlten Elternzeit einher, sondern gemäss Art. 10 der Richtlinie haben die Mitgliedstaaten auch dafür zu sorgen, «dass die Arbeitnehmer nach Ablauf eines Urlaubs Anspruch darauf haben, an ihren früheren oder einen gleichwertigen Arbeitsplatz unter Bedingungen zurückzukehren, die für sie nicht weniger günstig sind, und in den Genuss aller Verbesserungen der Arbeitsbedingungen zu kommen, auf die sie Anspruch gehabt hätten, wenn sie den Urlaub nicht genommen hätten.»

Dies entspricht zwar der heute geltenden Regelung, erschwert aber durch die von der EU im Individualfall vorgegebene Übertragbarkeit der Elternzeit von einem auf den anderen Elternteil die Planungs- und Organisationssicherheit des Arbeitgebers bzw. die Innerbetrieblichen Strukturen von KMU’s weiter. Zudem hinterfrage ich, ob die heute gültigen Regelungen in Art. 34b des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches, welche dem Arbeitgeber von Betrieben unter 30 Arbeitnehmern das Recht einräumt, den Elternurlaub zu verschieben, wenn betriebliche Abläufe eingeschränkt werden, aufrecht erhalten werden können. Heisst es doch in der Richtlinie, dass gewährleistet sein muss, dass alle Arbeitnehmer gleichbehandelt werden müssen.

Dies sehen auch die Autoren des Berichts ‘Familienpolitik im Fürstentum Liechtenstein’ so. Sie führen aus:
«Mit der Einführung einer bezahlten Elternzeit, die auch der Vater beziehen kann, werden vermehrt auch Männer Familienzeit beziehen, sodass Betriebe mit Abwesenheiten sowohl von Frauen wie von Männern rechnen müssen.»
Unabhängig davon, wie die bezahlte Elternzeit in Zukunft ausgestaltet wird, gehe ich mit den Ausführungen der Regierung auf Seite 17 der Interpellationsbeantwortung überein, dass die von den Interpellanten als Grundlage für die Kostenschätzung vorgegebene Höhe von 80% des Medianlohns über alle Altersklassen hinweg einer sehr hohen Vergütung entspricht. Dies umso mehr, als zu berücksichtigen ist, dass die Löhne in der Altersklasse der Eltern von kleinen Kindern eher unterdurchschnittlich sind und die Löhne in unserem Kulturkreis mit dem Alter in der Regel ansteigen.

Gemäss meinem Verständnis könnte somit der Fall eintreten, dass jemand mit Bezug von 80% des Medianlohnes für die bezahlte Elternzeit mehr verdient, als wenn er zu 100% seiner Arbeit nachgeht. Das kann es natürlich nicht sein. Somit haben die Interpellanten der Freien Liste eine Variante rechnen lassen, welche nicht nur eine Maximalvariante darstellt, sondern nicht geeignet ist, in die Praxis umgesetzt zu werden. Für mich kommt eine bezahlte Elternzeit, bei welcher Eltern mehr verdienen, als wenn sie wie üblich zu 100 Prozent ihrer Arbeit nachgehen, nicht in Frage. Das wäre ein Systemfehler und so glaube ich, nicht einmal für die Freie Liste ein gangbarer Weg. Somit kann davon ausgegangen werden, dass die von der Regierung dargelegten CHF 30. Mio. nicht den endgültigen Kosten entsprechen und diese tiefer ausfallen werden.

Unabhängig von der Höhe bleibt aber die Frage ‘Wer soll das bezahlen?’ im Raum. Die Regierung schlägt verschiedene Varianten vor - die Familienausgleichskasse, die Krankentaggeldversicherung, die AHV, die Schaffung eines eigenen neuen Sozialwerks, die Kostenübernahme durch die Unternehmen sowie gemeinschaftlich zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer.

Ich teile die Meinung der Regierung, dass es naheliegend ist, die bezahlte Elternzeit über die Familienausgleichskasse (FAK) zu bezahlen. Der Nachteil dabei ist, dass sie in Form von Lohnprozenten ausschliesslich über Arbeitgeberbeiträge finanziert wird. Unter der Annahme, dass die Elternzeit gemäss den Vorgaben der Interpellanten umgesetzt wird und die dabei dargestellten Kosten verursacht, würden ihre Ausgaben gegenüber dem aktuellen Stand ungefähr eineinhalb Mal so hoch ausfallen. Die Regierung schreibt, dass dann bei gleichbleibendem Finanzierungsmechanismen die Arbeitgeber mit einer deutlichen Beitragserhöhung belastet werden müssten.

Ich bin der Ansicht, dass - sofern die Elternzeit über die FAK finanziert werden soll - die Höhe der Finanzierung der Elternzeit an den Einnahmen der FAK ausgerichtet werden sollte. Es gilt eine Beitragserhöhung für die Arbeitgeber zu verhindern. Auch sollte darauf geachtet werden, dass die Lohnnebenkosten nicht weiter ansteigen, was mittels Finanzierung über die FAK ebenfalls gewährleistet wäre.

Ich erachte es als gerechtfertigt, dass damit für die Bezahlung der Elternzeit in erster Linie die Arbeitgeber verantwortlich sind, da eine bezahlte Elternzeit die Attraktivität der Arbeitsplätze erhöht und die Rückkehr von Frauen an den Arbeitsplatz begünstigt. Die Akzeptanz einer solchen Lösung kann aber von den Arbeitgebern nur verlangt werden, wenn die Beiträge dadurch nicht angehoben werden müssen. Deshalb ist es von grundlegender Bedeutung, dass die FAK nicht in eine Situation gebracht wird, in welcher sie höhere Ausgaben als Einnahmen generiert und somit Beitragserhöhungen notwendig werden. Auch deshalb werde ich der Kompensation über die FAK der AHV-Beitragserhöhung in Traktandum 12 zur langfristigen Sicherung der AHV nicht zustimmen.

Wie gesagt, sind die bezahlte Elternzeit und der bezahlte Vaterschaftsurlaub nur zwei Komponenten, mit welcher die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gestärkt werden können.
«Die meisten Frauen sind vor der Geburt des ersten Kindes erwerbstätig, reduzieren danach ihr Pensum oder beenden die Erwerbstätigkeit ganz. Männer nehmen bei einer Geburt in der Regel nur wenige Tage frei und arbeiten weiterhin Vollzeit oder mit einem sehr hohen Stellenpensum. Die finanziellen Einbussen sind für manche Familien deutlich spürbar. Die finanzielle Unterstützung durch den Staat kompensiert dies meistens nicht. Dies wird vielfach als mangelnde Anerkennung und Wertschätzung für den Beitrag der Familien für die Gesellschaft aufgefasst.»
Dies ist ein Ergebnis aus der Familienumfrage, welche eine Grundlage des Berichts ‘Familienpolitik in Liechtenstein’ der Arbeitsgruppe Familienpolitik über Meilensteine, aktuelle Lage, strategische Ziel und mögliche Massnahmen bildete.

Darin wird das Ziel, ‘Betreuung des Kindes durch die Eltern im ersten Lebensjahr’ definiert. Als Massnahmen werden die Optimierung des Mutterschaftsurlaubes, die Einführung eines bezahlten Vaterschaftsurlaubes und die Umwandlung von unbezahltem Elternurlaub in bezahlte Elternzeit angeführt. Also genau das, was die EU in ihrer Richtlinie einführt.

Zentral für mich ist hierbei, dass diese Massnahmen nicht nur Vorteile für die Eltern in sich bergen, sondern auch für das Wohl des Kindes elementar sind. Es gibt genügend Studien, welche auf die Wichtigkeit der Betreuung des Kindes durch die Eltern im ersten Lebensjahr hinweisen und auch Nachteile für das Kind sehen, wenn dem nicht so sein sollte. Und deshalb unterstütze ich die Autoren der Studie ‘Familienpolitik’, wenn sie schreiben: 
«Bezahlte Elternzeit ist eine Massnahme, die das Potenzial hat, Kindern einen guten beziehungsweise noch besseren Start ins Leben zu ermöglichen. Das Wohl der Kinder hängt naturgemäss eng mit dem Wohl seiner Eltern zusammen. Wenn es den Eltern gutgeht, geht es in der Regel auch den Kindern gut. Um diesem Ziel näher zu kommen, braucht es - nebst der Einführung der bezahlten Elternzeit - weitere Massnahmen der Familienförderung und der Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf»
Im Bericht werden verschiedene weitere Massnahmen angesprochen. Sie reichen von der Förderung und Etablierung von Teilzeitstellen und flexiblen Arbeitszeitmodellen für Mütter und Väter bis hin zur Erweiterung der Blockzeiten und der Betreuungsangebote in den Schulen sowie zum Kindergartenobligatorium. Alles Bereiche, die es meines Erachtens wert sind, genauer evaluiert zu werden und gegen deren Umsetzung man eigentlich gar nicht sein kann. Dies umso mehr, als sie gemäss Umfrage die Hauptprobleme der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ansprechen und einer Lösung zuführen.

Darüber hinaus schlägt die Arbeitsgruppe vor, im Sinne der Nutzung von Synergien zu überprüfen, ob es zielführender wäre, Betreuung und Bildung in ein und demselben Ministerium anzusiedeln, da diese Bereiche in Zukunft immer mehr zusammenwachsen werden, wodurch verstärkt Synergien genutzt werden könnten. Das ist für mich ein höchst prüfenswerter Vorschlag, der - so hoffe ich - im Rahmen der nächstjährigen Regierungsbildung in Betracht gezogen werden sollte.

Die Thematik und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird ein zentrales Thema der nächsten Jahre sein. Die Grundlagen für eine fundierte Diskussion liegen vor; nun gilt diese mit Leben zu füllen und Nägel mit Köpfen zu machen. Zur Verbesserung der gegenwärtigen Situation ist die Übernahme der EU-Richtlinie der erste Schritt - mehr aber auch nicht. Weitere werden folgen müssen.

Eine Verbesserung wird auch von der Bevölkerung gefordert, wie aus der Familienumfrage hervorgeht. Es wird festgestellt:
«Von Eltern, insbesondere erwerbstätigen Eltern, ist oftmals Improvisationsgeschick gefordert. Insgesamt geben 32 Prozent an, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Liechtenstein sehr schwierig sei, weitere 46 Prozent erachten es als eher schwierig. Somit besteht jedenfalls Handlungsbedarf.»
Das heisst: 78% der Betroffenen betiteln die gegenwärtige Ausgangslage als sehr schwierig oder eher schwierig. Deutlicher kann ein Auftrag an die Politik kaum artikuliert werden.

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