Donnerstag, 3. Dezember 2020

Sozialhilfegesetz

Wie soll Zwangseinweisung geistig behinderter Personen geregelt sein?


Die Abänderung des Sozialhilfegesetzes ist schwere Kost, handelt es sich doch um eine punktuelle Neuregelung über die Unterbringung bzw. Zurückhaltung von Personen gegen ihren Willen in Anstalten bzw. psychiatrischen Kliniken.

Danach dürfen Personen, die geisteskrank oder geistesschwach sind, an Suchterkrankungen leiden oder schwer verwahrlost sind, gegen ihren Willen in einer geeigneten Anstalt untergebracht oder zurückbehalten werden, wenn ihnen die nötige Hilfe anders nicht erwiesen werden kann. Da die bestehenden Bestimmungen hierzu teilweise lückenhaft und veraltet sind, wurden diese Abänderungen des Sozialhilfegesetzes notwendig. Als Grundlage wurde die Schweizer Gesetzgebung herangezogen. 

Anders als in der Schweiz - jedoch wie in Österreich - soll auch die Unterbringung bei ausschliesslicher Fremdgefährdung möglich sein, weshalb dafür das Unterbringungsgesetz von Österreich herangezogen wurde. Somit soll explizit normiert werden, dass eine Person, die an einer psychischen Störung oder an geistiger Behinderung leidet und im Zusammenhang damit das Leben oder die Gesundheit anderer ernstlich und erheblich gefährdet, in einer geeigneten Einrichtung untergebracht werden kann. Dies, wenn sie nicht in anderer Weise, insbesondere ausserhalb einer geeigneten Einrichtung, ausreichend ärztlich behandelt oder betreut werden kann. Dies entspricht der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und der österreichischen Rechtslage in § 3 des Unterbringungsgesetzes. 

Der Vorschlag der Regierung geht für mich in der gegenwärtigen Formulierung zu weit. Persönlich wird für mich damit auch eine rote Linie überschritten. Man darf nicht ausser Acht lassen, dass es sich hierbei um eine fürsorgliche Unterbringung handelt. In der Schweiz ist eine Fremdgefährdung weder Unterbringungsvoraussetzung noch für eine Unterbringung hinreichend. In der Schweiz hat das Bundesgericht diese Regelung untersagt. «Gemäss Rechtsprechung des schweizerischen Bundesgerichtes darf die Belastung bzw. die Gefahr für Dritte nicht ausschliesslicher Einweisungs- bzw. Zurückbehaltungsgrund sein», so die Regierung auf Seite 33 ihres Berichts. Da die Schweiz somit diese Regelung nicht kennt, musste die Regierung auf das österreichische Unterbringungsgesetz als Rezeptionsgrundlage zurückgreifen.

Das Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie in Wien, immerhin eines der führenden Forschungsinstitute in der europäischen Sicherheitsforschung, hat im Auftrag der österreichischen Regierung ein Gutachten zu diesem Unterbringungsgesetz und zu diesem § 3 erstellen lassen. Darin kommen die Gutachter zum Schluss: 
«Und ganz grundsätzlich gilt es zu berücksichtigen, dass Annahmen über Gefährdungen Prognosen darstellen, d.h. mit dem leidigen Problem ungewisser Zukunft konfrontiert sind: Wir wissen aktuell nicht, wie sie sich tatsächlich entwickeln wird, da sich aus Ereignissen der Vergangenheit und Gegenwart - so diese überhaupt ausreichend bekannt sind - nicht linear Ereignisse in der Zukunft ableiten lassen. Entsprechend gross sind die faktischen Interpretations- und Ermessensspielräume bei diesem UbG-Kriterium und entsprechend uneindeutiger gestalten sich auch die Entscheidungskompetenzen - sowohl im Sinne von Entscheidungsfähigkeit als auch -zuständigkeit.»
Das Obergericht geht in seiner Vernehmlassungsstellungnahme auch darauf ein und führt aus: 
«Eine Unterbringung allein wegen Fremdgefährdung darf aber niemals strafprozessuale Massnahmen substituieren, geschweige denn auf eine Art Präventivhaft hinauslaufen.»
Auch wenn ein Vorhaben EMRK-Konformität zuerkannt wird, ist es noch lange nicht ethisch und moralisch ein gangbarer Weg. Die Regierung führt auf Seite 38 aus:
«Nach geltendem Recht wird bei Vorliegen einer psychischen Erkrankung, die zwar zu keiner Selbstgefährdung, jedoch aber zu einer Fremdgefährdung führt, keine Unterbringung möglich sein. Dies stellt aus Sicht der Regierung eine Lücke dar. Personen, bei denen Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen vorliegen, kann das Risiko für schwere Gewalt in bestimmten Fällen unweigerlich mit einer sich akut manifestierenden Erkrankung verknüpft sein.»
Die von der Regierung vorgesehene Regelung berücksichtigt jedoch nicht nur Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen, sondern wird viel weiter gefasst. Die Regierung führt aus:
«Im Interesse der öffentlichen Sicherheit soll diese Lücke analog der Rechtslage in Österreich geschlossen werden, indem Personen, die an einer psychischen Störung oder an einer geistigen Behinderung leiden und bei denen aufgrund dieser Erkrankung eine ernste und erhebliche Gefahr für Leben und Gesundheit Dritter ausgeht, neu ebenfalls fürsorgerisch untergebracht werden können.»
Nicht jede psychische Störung oder geistige Behinderung hat mit Schizophrenie, schizotypen und wahnhaften Störungen zu tun. Meines Erachtens müssten dieser Artikel 18d noch mit Präzisierungen und Einschränkungen erweitert werden, indem klare Vorgaben für eine solche präventive Unterbringung gemacht werden, auch in Bezug auf das vorhandene Krankheitsbild aber auch in Bezug auf die Entscheidungskompetenzen. 

Denn gerade bei den Entscheidungskompetenzen ortet das Gutachten Probleme, da es Personen gäbe, welche Freiheit, Selbstbestimmung und Eigenverantwortung stärker betonen und sich deshalb deutlicher an persönlicher Autonomie orientieren, selbst wenn von eingeschränkter Entscheidungsfähigkeit auszugehen sei. Es werde psychisch kranken Personen eher auch das Recht zugestanden, unvernünftig zu sein und sich selbst zu schaden bzw. Fehler begehen zu dürfen.

Andere Personen wiederum seien von einer fürsorglichen Haltung geprägt, tendieren eher bzw. früher zum stellvertretenden Handeln und würden den Schutz der Person in den Vordergrund stellen. Dies ginge so weit, als sie eine vormundschaftlich geprägte Verantwortungsübernahme für psychisch kranke Personen wahrnehmen wollen.

Wie stellt die Regierung nun sicher, dass alle Fälle gleichbehandelt werden? Was ist, wenn bei einem Fall der erste Typus die Entscheidung zu fällen hat und in einem anderen gleichgelagerten Fall der zweite Typus? Der eine wird eingewiesen, der andere nicht. Wir reden hier von Präventivmassnahmen gegenüber Personen, die an einer psychischen Störung oder an einer geistigen Behinderung leiden. Diese Personen haben nichts Verbotenes getan; sie sollen präventiv zwangsweise in einer Einrichtung untergebracht werden, da prognostiziert wird, dass sie vielleicht eine Gefahr für Dritte sind.

Welche Voraussetzungen vorhanden sein müssen, um eine solche Einweisung anzuordnen, müssen genauer im Gesetz festgelegt werden. Die im Artikel gebrauchte Formulierung, «das Leben oder die Gesundheit anderen ernstlich und erheblich gefährdet» reicht für einen solchen markanten präventiven Eingriff in ein Freiheitsrecht für mich nicht aus.

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