Donnerstag, 1. Oktober 2020

Sicherung der AHV

Es darf kein weniger Netto vom Brutto daraus resultieren

Landtagsvotum zur langfristigen finanziellen Sicherung der AHV

Die AHV ist kein Sanierungsfall. Diese Feststellung wurde von zahlreichen Abgeordneten im Rahmen der Debatte um das versicherungstechnische Gutachten für die AHV im März dieses Jahres geäussert und vom zuständigen Regierungsmitglied letzte Woche in einem Radio L Interview untermauert.

Ich teile diese Meinung, die AHV ist aktuell wirklich kein Sanierungsfall. Dies umso mehr, als gemäss versicherungstechnischem Gutachten die gesetzliche Vorgabe, die AHV-Reserven in 20 Jahren bei mindestens 5 Jahresausgaben zu halten, nicht deutlich, sondern nur knapp verfehlt wird. Die von der Regierung vorgeschlagenen Massnahmen verbessern das Verhältnis von Fondsvermögen zu Jahresausgaben um insgesamt 0.96 Einheiten, womit sich dieses per Ende 2038 im Rahmen der Modellannahmen auf 5.22 anhebt.

Damit - das muss man leider auch feststellen - wird das angestrebte Ziel nur knapp übertroffen. Sehr viel Reserve bleibt da nicht und es darf wohl davon ausgegangen werden, dass in fünf Jahren, wenn das nächste versicherungstechnische Gutachten vorliegt, dieselbe Diskussion wieder geführt wird und erneut Massnahmen beschlossen werden müssen. Dann wird man um eine punktuelle AHV-Reform wohl nicht herumkommen und die Rentenalter-Erhöhung wird vermehrt in den Mittelpunkt rücken, zumal mit einer einjährigen Erhöhung das Verhältnis von Fondsvermögen zu Jahresausgaben um insgesamt 0.74 Einheiten angehoben wird.

Es besteht die Gefahr, dass in fünf Jahren die Einschätzung, dass die AHV kein Sanierungsfall sei, nicht mehr so bedenkenlos geäussert werden kann. Es darf nämlich nicht ausser Acht gelassen werden, dass das Verhältnis von Fondsvermögen zu Jahresausgaben heute noch 10.2 beträgt. Das heisst: es wird bis 2036 mehr als halbiert. Die Absturzhöhe ist enorm und sollte Anlass zur Sorge machen.

Die Regierung hat den gesetzlichen Auftrag erfüllt und mit den heute zur Diskussion stehen Anträgen das angestrebte Ziel erreicht. Neben den CHF 100 Mio. als Einmaleinlage schlägt die Regierung eine Erhöhung des Beitragssatzes von 8.1 Prozent auf 8.7 Prozent vor. Diese Erhöhung soll ab dem 1. Januar 2022 zum Tragen kommen. Die aufgrund der Beitragserhöhung resultierende Mehrbelastung für Arbeitgeber und Arbeitnehmer soll teilweise mit einer Reduktion der Beiträge an die Familienausgleichskasse (FAK) ausgeglichen werden.

Auffallend ist, dass es die CHF 100 Mio. aus der Staatskasse an die AHV gar nicht brauchen würde, um die gesetzlichen Vorgaben zu erfüllen. Mit der Beitragserhöhung für Arbeitgeber und Arbeitnehmer um 0.6 Prozent wäre der gesetzlichen Forderung mit der Anhebung des Verhältnisses auf 5 genüge getan. Dies bestätigt die Regierung auch auf Seite 5 f. des Berichts. Sie strebe nicht nur das Minimum an, sondern möchte aufgrund von Unwägbarkeiten das Verhältnis etwas stärker verbessern. 

Keine Frage: CHF 100 Mio. sind enorm viel Geld. CHF 100 Mio. sind aber im Verhältnis zur gesamten AHV eigentlich nicht der Rede wert. Gemäss Geschäftsbericht 2019 der AHV wurden letztes Jahr Leistungen in der Höhe von CHF 304.37 Mio. ausbezahlt, also rund CHF 25 Mio. pro Monat. Das heisst: Es dauert also gerade Mal vier Monate, bis die Einmaleinlage in die AHV von CHF 100 Mio. aufgebraucht ist. Wenn man dann noch berücksichtigt, dass der Marktwert der Anlagen der AHV per 31. Dezember 2019 rund CHF 3.2 Mia. betrug, machen die CHF 100 Mio. aus der Einmaleinlage gerade noch 3 Prozent des Anlagenwertes per Ende 2019 aus.

Beide Vergleiche belegen: CHF 100 Mio. sind zwar ein stolzer Betrag, sie sind aber im Verhältnis zur aktuellen Ausgangslage bei der AHV einen Tropfen auf den heissen Stein. Sie sind Symptombekämpfung ohne Nachhaltigkeit. Sie sind einzig dazu geeignet, eine technische Zahl um 0.23 Einheiten anzuheben, damit - wohlgemerkt auf Basis von Modellannahmen - nicht das gesetzliche Minimum erreicht wird, sondern ein wenig ein Puffer eingebaut wird. Ein Puffer, der rasch verpuffen wird und keine nachhaltigen positiven Auswirkungen auf die AHV haben wird.

Ich kann einem Nachtragskredit über CHF 100 Mio., der einzig und allein die Erhöhung einer technischen Zahl um 0.23 Einheiten bezweckt, und der zudem aus dem Blickwinkel der gesetzlichen Vorgaben gar nicht notwendig wäre, nicht zustimmen.

Am zweiten Vorschlag, der Beitragserhöhung, wird wohl kein Weg vorbeiführen, zumal dieser notwendig ist, um den gesetzlichen Vorgaben Rechnung zu tragen. Um diese Beitragserhöhung zu mindern, soll - wie erwähnt - die daraus resultierende Mehrbelastung mit einer Reduktion der Beiträge an die Familienausgleichskasse teilweise ausgeglichen werden. Diese sollen um 0.24 Prozentpunkte reduziert werden. Diese Minderbelastung der Arbeitgeber soll paritätisch auf die Arbeitgeber und Arbeitnehmer aufgeteilt werden, so dass die ab dem 1. Januar 2022 die effektive Zusatzbelastung je 0.18 Prozentpunkte des AHV-pflichtigen Lohns betragen soll.

Dieses Vorhaben stösst auf teilweise heftige Kritik der Vernehmlassungsteilnehmer. Es wird darauf hingewiesen, dass diese Beitragserhöhung zu früh komme, da vor wenigen Jahren bereits eine Beitragserhöhung vorgenommen worden sei. In Bezug auf die Minderbelastung durch die Reduktion der Beiträge an die Familienausgleichskasse ergäbe sich eine Querfinanzierung und zudem würden zwei Finanzierungstöpfe unnötigerweise miteinander vermischt. Alles Bedenken, die ich nachvollziehen kann. Auch die Bedenken der Wirtschaftskammer teile ich. Sie schreibt (Zitat): «Sollte beim FAK-Topf sodann der Boden sichtbar werden, wird mit Sicherheit der Arbeitgeber zum Handkuss kommen, um dies wieder auszugleichen. Folglich wird es dann in naher Zukunft wiederum zu einer Erhöhung FAK-Beiträge durch die Arbeitgeber kommen.» (Zitat Ende)

Diese Gefahr besteht über kurz oder lang, zumal in Betracht gezogen wird, dass der FAK-Topf zur Finanzierung der EU-Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige vom 20. Juni 2019, welche schon sehr bald bei uns aktuell werden wird und - ob man will oder nicht - zur Einführung des bezahlten Elternurlaubs führen wird, zu verwenden. Deshalb sind die Bedenken der Wirtschaftskammer nachvollziehbar und müssen ernst genommen werden.

Es bringt nichts, einen Teil der Belastung der Arbeitgeber und Arbeitnehmer durch die AHV-Beitragserhöhung über eine Reduktion der Beiträge an die Familienausgleichskasse zu reduzieren, wenn über kurz oder lang und im Wissen, was aus Brüssel auf uns zukommt, die Folge daraus ist, dass mittel- bis langfristig die Beiträge an die FAK erhöht werden müssten.

Weil eines darf man nicht ausser Acht lassen: Mit dem Vorschlag der Regierung werden Arbeitgeber und Arbeitnehmer mehr belastet. Die Lohnnebenkosten werden erhöht. Entlastet wird gar niemand. Es hat auch niemand einen Vorteil davon, weder Rentnerinnen und Rentner noch Beitragszahlerinnen und -zahler.

Wir werden aber nicht umhinkommen, die AHV-Beiträge zu erhöhen. Doch nur immer die Lohnnebenkosten anzuheben, ohne der arbeitenden Bevölkerung etwas zurückzugeben, ist nicht sinnvoll. Massnahmen zu beschliessen, mit welchen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer immer weniger Netto vom Brutto auf das Konto bekommen und den Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern höhere Kosten aufgebürdet werden, ist der Standortattraktivität der Wirtschaftsplatzes nachteilig. Eine solche Politik schwächt die Kaufkraft, schmälert das Investitionsvolumen und gefährdet in der Folge Arbeitsplätze.

Wir dürfen diesbezüglich den Bogen nicht überspannen. Diese Gefahr besteht, zumal verschiedene Entwicklungen am Laufen sind, welche - unabhängig von der Beitragserhöhung in die AHV - zu Erhöhungen der Lohnnebenkosten und Steuererhöhungen führen werden. Hierbei sei erwähnt:

1.) Die Pflegeversicherung: Ihr Geist schwebt bereits herum. Eine solche wäre wohl ohne Erhöhung der Lohnnebenkosten nicht zu stemmen.

2.) Die Erhöhung der Krankenkassenprämien: Eine solche für das kommende Jahr wird wohl bereits nächste Woche angekündigt und somit Realität werden. Auch diese Erhöhung wird zu weniger Netto vom Brutto führen.

3.) Die bereits erwähnte EU-Richtlinie zur Einführung des bezahlten Elternurlaubs und die damit einher gehende Reduktion der FAK-Reserven, welche wohl irgendwann mit einer Erhöhung der FAK-Beiträge kompensiert werden müssen. Auch ein Elternurlaub muss zuerst bezahlt sein.

4.) Die EU-Verordnung zur Vereinheitlichung der Sozialsysteme, welche bereits in der Pipeline ist. Gemäss Beantwortung einer Kleinen Anfrage von September 2019 würde diese EU-Verordnung bedeuten, dass sich die jährlichen Kosten für die Arbeitslosenentschädigung verdoppeln werden. Auch diese Systemänderung wird ohne Beitragserhöhung und somit ohne Lohnnebenkostenerhöhung nicht zu stemmen sein.

Alles Vorhaben, welche im Raum stehen oder sich bereits in der Umsetzungsphase befinden und welche aller Voraussicht nach zu einer Erhöhung der Lohnnebenkosten führen werden. Und wäre dies alles noch nicht genug, stehen darüber hinaus noch Steuererhöhungen an.

Denn 5.) wird uns über kurz oder lang die OECD mit ‚BEPS Pillar 2‘ und damit mit einer Erhöhung der Mindestbesteuerung beglücken und 6.) uns die Schweiz schon sehr bald eine Mehrwertsteuererhöhung aufbürden, womit der Mehrwertsteuersatz auf eine Rekordmarke von über 8 Prozent angehoben werden soll. 

All dies wird dazu führen, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weniger Netto vom Brutto verdienen werden. Der Druck der Gewerkschaft auf die Arbeitgeber wird steigen, damit sie diesen Anstieg der Lohnnebenkosten und die damit einhergehenden Verdienstausfälle über Lohnerhöhungen kompensieren. Die Verhandlungen der Sozialpartner werden härter werden, da diese Entwicklung ja auch für die Arbeitgeber höhere Kosten bedeutet.

Und deshalb erachte ich es als angezeigt, die geplante AHV-Beitragserhöhung nicht über den FAK-Topf abzufedern, sondern den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und den Arbeitgebern netto etwas zurückzugeben, sie also wirklich zu entlasten.

Eine solche Reduktion der Belastung für die Liechtensteinerinnen und Liechtensteiner wäre beispielsweise über eine Erhöhung des OKP-Staatsbeitrages um CHF 20 Mio. machbar.

Damit wären verschiedene Vorteile verbunden:

a.) Mit einer Erhöhung des OKP-Staatsbeitrages wird eine Mehrheit der Liechtensteiner Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entlastet, da der Effekt der Reduktion der Krankenkassenprämie grösser ist als der zusätzliche Beitrag in die AHV. Somit würde eine solche Erhöhung die Familien unseres Landes entlasten.

b.) Für die Arbeitgeber wird die zusätzliche Belastung durch höhere AHV-Arbeitgeberbeiträge durch einen tieferen Arbeitgeber-Beitrag an die Krankenkassen weitestgehend kompensiert. Eine Erhöhung der Lohnnebenkosten wird daher je nach Lohnstruktur eines Unternehmens gänzlich vermieden oder nur äusserst gering ausfallen.

c.) Profitieren werden - und das ist für mich zentral - auch die Rentnerinnen und Rentner, da eine Erhöhung des OKP-Staatsbeitrages auch auf ihre Krankenkassenprämien positive Auswirkungen haben wird. Der Vorschlag der Regierung geht an den Rentnerinnen und Rentnern unseres Landes komplett vorbei. Das kann es einfach nicht sein.

d.) Mit dem Lösungsvorschlag eines höheren OKP-Staatsbeitrages fliesst zudem nicht gleichzeitig rund ein Drittel dieser CHF 100 Mio. ins Ausland, wie es gemäss Aussage der Regierung auf Seite 15f. des Berichts bei ihrem Vorschlag der Fall wäre.

e.) Die AHV hat - Stand heute - auch mit diesem Vorschlag im Jahre 2038 immer noch 5 Jahresausgaben als Reserve.

Bezahlbar ist es ebenfalls. Mit diesem Vorschlag wird einerseits bis zum nächsten versicherungstechnischen Gutachten in fünf Jahren nicht mehr Geld als mit der von der Regierung vorgeschlagenen Einmalzahlung von CHF 100 Mio. ausgegeben. Andererseits darf sich unser Land durch die geplante Mehrwertsteuererhöhung in der Schweiz, welche wohl rund ein Prozent im Normalsatz sowie 0.5 Prozent bzw. 0.3 Prozent in den reduzierten Sätzen betragen dürfte, sich über jährliche Mehreinnahmen von über CHF 20 Mio. freuen, womit die Frage der Gegenfinanzierung beantwortet sein dürfte.

Das wäre ein Bürgerpaket, das seinem Namen auch gerecht werden und nicht nur Papier produzieren würde.

Ich bin für Eintreten auf die Vorlage, da damit der gesetzlichen Vorgabe, die AHV-Reserven in 20 Jahren bei 5 Jahresausgaben zu halten, Rechnung getragen wird. Ich werde aber bei der 2. Lesung dieser Beitragserhöhung nur zustimmen, wenn die damit einhergehenden Mehrbelastungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie der Arbeitgeber an anderer Stelle auch wirklich kompensiert werden. Hierzu zählt für mich nicht eine Reduktion der Erhöhung, sondern eine Kompensation, die den Namen auch verdient. Es darf kein weniger Netto vom Brutto daraus resultieren. Ich bitte die Regierung auf die 2. Lesung solche Kompensationsmöglichkeiten auszuarbeiten und zur Diskussion und Beschlussfassung vorzulegen.

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