Samstag, 8. August 2020

Volksabstimmung S-Bahn

"Zu vieles ist noch unklar"

Vaterland-Interview vom 8. August 2020 zur Volksabstimmung S-Bahn


Interview mit dem Liechtensteiner
Vaterland vom 8. August 2020
zur Volksabstimmung S-Bahn
Herr Batliner, Sie haben im Landtag betont, dass Sie zwar für eine S-Bahn sind, aber den Zeitpunkt für die Realisierung als falsch erachten. Sind Sie also ein S-Bahn-Befürworter?

Alexander Batliner: Das ist so nicht richtig interpretiert. Es geht mir nicht um den Zeitpunkt, sondern darum, dass diese zur Abstimmung stehende Vorlage noch zu viele Fragen offenlässt. Ich bin grundsätzlich positiv gegenüber einer S-Bahn eingestellt. Das habe ich im Landtag auch so geäussert. Wir sprechen hier jedoch nicht von einem Gesetz, das jederzeit wieder abgeändert werden kann. Wir schaffen mit dieser Vorlage bzw. mit einem Ja bei der Volksabstimmung Fakten – und das auf Jahrzehnte hinaus und damit auch für die kommenden Generationen. Das ist eine andere Grundvoraussetzung. Unter dieser Prämisse gibt es für mich noch zu viele Unklarheiten, um Ja sagen zu können.

Welche Fragen sind denn offen?
Es gibt hauptsächlich vier Gründe, aufgrund derer ich nicht zustimmen kann. Zum ersten ist das die vieldiskutierte Thematik Schaan. Wir haben heute eine Vorlage auf dem Tisch, welche die Situation zwischen Grenzübergang Schaanwald-Tisis bis zur Haltestelle «Hilti Forst» löst. Alles was danach kommt, ist ungelöst. Wenn wir schon von einer S-Bahn Liechtenstein sprechen, möchte ich aber das Gesamtprojekt kennen. Ich möchte wissen, wie die S-Bahn künftig durch Schaan und irgendwann auch durch das Oberland geführt werden soll. So stimmen wir nicht über eine S-Bahn Liechtenstein, sondern über eine S-Bahn «Schaanwald bis Hilti Forst» ab.

Diese weiteren Fragen werden doch laut Mobilitätskonzept geklärt – die S-Bahn ist nur ein Teilprojekt des Ganzen. Und zu diesem gesamten Konzept haben Sie im Landtag Ja gesagt. 
Ja, das Mobilitäskonzept ist ja auch in Ordnung. Die S-Bahn ist aber nur ein Teil davon – wenn auch ein sehr Wichtiger. Wir stimmen aber nicht über das Mobilitätskonzept ab, sondern über die S-Bahn, das ist ein Unterschied. Die Thematik Schaan ist unmittelbar mit der S-Bahn verbunden. Meines Erachtens kann man eine abschliessende Entscheidung zur S-Bahn nur fällen, wenn man auch weiss, wie sie künftig durch Schaan geführt werden soll. Hier werden ja drei Varianten geprüft: Egal, welche davon umgesetzt wird, sie wird höhere Kosten generieren als das Projekt, über was wir jetzt abstimmen.

Der Landtag hat doch aber genau diese beiden Themen bewusst voneinander entkoppelt, weil die Verkehrsproblematik in Schaan auch unabhängig von einer Realisierung der S-Bahn gelöst werden muss. Warum koppeln Sie die beiden Themen nun wieder?
Weil es richtig und wichtig war, festzuhalten, dass die Verkehrsproblematik in Schaan mit oder ohne S-Bahn gelöst werden muss. Trotzdem kann ich die beiden Themen nicht losgelöst voneinander betrachten. Zumindest muss ich wissen, in welche Richtung es geht. Was geschieht z. B., wenn wir jetzt Ja zur S-Bahn sagen? Irgendwann steht dann ein Kredit für die Massnahmen in Schaan über beispielsweise 150 Mio. Franken zur Abstimmung. Dann wird es einfach heissen: Ihr habt A gesagt, jetzt müsst ihr auch B sagen. Dieser Druck entsteht dann automatisch. Das ist für mich aber nicht demokratisch. Für mich ist deshalb klar: Die beiden Thematiken bedingen sich gegenseitig.

Dann war es der falsche Schritt, die beiden Themen im Landtag zu entkoppeln?
Ich habe schon im Mai-Landtag im Rahmen der Diskussion des Mobilitätskonzeptes betont, dass ich es befürworten würde, wenn die S-Bahn-Thematik zeitlich verschoben würde. Der Finanzbeschluss zur S-Bahn wurde von der Regierung verabschiedet, bevor der Landtag überhaupt die Möglichkeit hatte, das Mobilitätskonzept zu diskutieren. Was hätte die Regierung gemacht, hätte der Landtag dieses Konzept vom Tisch gewischt? Hier wurde einfach der falsche Weg gewählt, so dass wir im Landtag nur noch die Möglichkeit hatten, sicherzustellen, dass für Schaan mit oder ohne S-Bahn eine Lösung gefunden werden muss. Deshalb habe ich die Regierung auch gefragt: Wozu diese Eile? Was ist der Grund, dass man die Diskussion des Landtages nicht abwarten kann, bevor man in der Regierung Beschlüsse fasst?

Sie haben von vier Gründen gesprochen, warum Sie gegen die S-Bahn sind. 
Der zweite Punkt ist, dass die Verhandlungen mit der ÖBB noch gar nicht abgeschlossen sind. Die Regierung führt in ihrem Bericht selber aus: «Die Kostentragung für die Erneuerung der Anlagen wurde in der Vereinbarung noch nicht festgelegt, sondern ist zeitgerecht zwischen den Vertragspartnern im Vorfeld der Umsetzung von Massnahmen einvernehmlich zu klären.» Ich würde aber gerne im Vorfeld wissen, welche Kosten auf unser Land diesbezüglich zukommen. Wir wissen auch nicht, wie die neue Konzession zwischen Liechtenstein und der ÖBB aussieht. Wie gesagt: Es müssen alle Fakten auf den Tisch, bevor man eine Entscheidung von solcher Tragweite auch für kommende Generationen fällt.

Ebenfalls noch offene Fragen ergeben sich für Sie in Bezug auf Landerwerbe und Umwidmung von Grundstücken. 
Ja. Es wurde von der Regierung und der ÖBB vereinbart, dass sich der Kaufpreis für die Grundstücke, den die ÖBB zu entrichten hat, auf eine Schätzung aus dem Jahr 2011 beziehen soll.. Die Wertsteigerung der letzten neun Jahre wurde einfach aussen vorgelassen. Beim Rückkauf durch das Land muss der dann aktuelle Wert bezahlt werden. Das heisst: Es wurde eine Vereinbarung zum Nachteil des Landes getroffen, da beim Verkauf eine für das Land nachteilige alte Schätzung und beim Rückkauf wiederum eine für das Land nachteilige aktuelle Schätzung herangezogen werden muss. Und damit habe ich Mühe. Ausserdem: Warum gibt man der ÖBB die Grundstücke nicht im Baurecht ab?

Was ist Punkt Nummer 4?
Hier geht es um das Infrastrukturbenutzungsentgelt. Zur Erklärung: Es ist üblich, dass ein Wegeentgelt für die Schienenbenutzung zu entrichten ist. Auch in diesem Punkt ist nicht bekannt, welche Kosten auf unser Land noch zukommen. Ich habe im Landtag danach gefragt. Ein Betrag konnte mir aber keiner genannt werden.

Alles in Allem sind also einfach zu viele Fragen offen?
Ja. Gerade auch die Thematik um den Güterverkehr zeigt mir, wie viel Verwirrung um die S-Bahn herrscht. Die Regierung sprach davon, dass es durch die S-Bahn nicht mehr Güterverkehr geben würde. Dann kommt die ÖBB und sagt: Doch, gibt es. Mehr noch: Es gäbe ohne S-Bahn sogar mehr Güterverkehr als mit. Was stimmt denn nun? Liechtenstein hätte doch die Möglichkeit eine maximale Anzahl an Güterzügen in die noch nicht bekannte neue Konzession hineinzuverhandeln. Dies bestätigte auch Regierungschef-Stellvertreter Daniel Risch im Rahmen einer Kleinen Anfrage im Mai 2017. Deshalb wäre Transparenz hilfreich. Eine solche ist jedoch schwer herzustellen, wenn Schritt B vor Schritt A macht und man Schritt A noch gar nicht gänzlich kennt. Wie gesagt: Zu viel ist noch unklar.

Sie haben sich auch über die Eile der Regierung gewundert. Aber Das Projekt wird doch schon seit über einem Jahrzehnt diskutiert. Wie würde denn Ihr Wunsch-Zeitplan für die S-Bahn aussehen?
Ich möchte daran erinnern, dass das Projekt 2015 sistiert wurde, nachdem Österreich die ausgehandelte Finanzierungsvereinbarung plötzlich in Frage gestellt hatte. Lange war es also ruhig um das Thema S-Bahn. Im April dieses Jahres wurde dann plötzlich kommuniziert, dass man sich nach erneuten Gesprächen mit Österreich geeinigt habe. Das war zwei Wochen vor Veröffentlichung des Berichts und Antrag. Glauben Sie wirklich, ein solcher Bericht und Antrag konnte in nur zwei Wochen erstellt werden? Und das ist der Punkt, an dem ich eine gewisse Eile erkenne, die ich nicht nachvollziehen kann. Ich verstehe nicht, warum man nicht abwarten kann, bis wenigstens eine Lösung für das Schaaner Zentrum auf dem Tisch liegt. Aber Nein, diese S-Bahn musste jetzt gehauen wie gestochen mit vielen offenen Fragen im Landtag behandelt und verabschiedet werden. Und nun soll das Volk entscheiden. Ich hätte mir in allen Dingen mehr Zeit gewünscht.

Sie empfinden die Zeit also zu kurz. Wie empfinden Sie diesen Abstimmungskampf generell?
Das ungelöste Problem Schaan zieht sich aber wie ein roter Faden durch die Diskussion. Es sorgt auch für viel Unmut – verständlicherweise. Ich bin mir fast sicher, dass die Nachwahlbefragung zum Vorschein bringen wird, dass das Thema Schaan ein Killerkriterium in Bezug auf das Abstimmungsverhalten gewesen sein wird.

Glauben Sie, dass sich die Regierung davor fürchtet, der Bevölkerung die gesamten Kosten, also inklusive einer Lösung in Schaan, in einem Paket aufzuzeigen?
Da müssen Sie nicht mich fragen, sondern den Regierungschef-Stellvertreter. Ich will hier nicht mutmassen. Mir fällt einfach auf, dass schon seit über einem Jahrzehnt über das Projekt diskutiert wird. Und jetzt sollen Landtag und Bevölkerung innerhalb kürzester Zeit entscheiden. Von der Einigung mit Österreich bis zur Abstimmung sind gerade mal 4 Monate vergangen. Warum nicht lieber transparent und fundiert informieren? So hängt ein Damoklesschwert über der Vorlage.

Ist es nicht besser, zu einem Zeitpunkt zu entscheiden, an dem die ÖBB ohnehin Massnahmen an der Eisenbahninfrastruktur vornehmen muss und die Kosten in einigen Bereichen geteilt werden können?
Wenn damit argumentiert wird, dass wir die S-Bahn nie mehr so günstig erhalten, blicke ich auf die Zeit von Martin Meyer als Verkehrsminister zurück. Er hat einen Betrag von rund 49 Mio. Franken ausgehandelt. Nun kostet dieses Projekt über 70 Mio. Franken. Das Thema verzögert hat in den vergangenen Jahren ausserdem nicht Liechtenstein, sondern Österreich. Das mussten wir akzeptieren. Deshalb glaube ich, dass Österreich es auch akzeptiert hätte, wenn wir uns jetzt noch ein bisschen Zeit für die Entscheidungsfindung und weitere Abklärungen erbeten hätten.

Wie soll es nach einem Nein weitergehen? Fällt damit auch das gesamte Mobilitätskonzept?
Es gibt Massnahmen im Mobilitätskonzept, die auch unabhängig vom Projekt der S-Bahn realisiert werden können. Wenn wir Nein zur S-Bahn sagen, wird kurzfristig nichts passieren. Und es geht weiter, wie bisher. Wir werden mit einem Nein kein Fiasko anrichten. Ich sehe bei einem Nein vielmehr die Chance, andere visionäre Projekte anzuschauen und zu evaluieren. Ich möchte zudem zu bedenken geben, dass Corona auch die Arbeitswelt verändert hat. Viele Unternehmen haben mit dem Homeoffice sehr gute Erfahrungen gemacht und wollen dabeibleiben, zumal auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer das Homeoffice schätzen gelernt haben. Was ist, wenn diese Entwicklung auch hier in der Region Einzug hält und Homeoffice von vielen Firmen beibehalten oder eingeführt wird? Dann sind die heute prognostizierten Zahlen bezüglich der Pendler bzw. jener, welche die S-Bahn benützen würden, nichts mehr wert. Dies auch vor dem Hintergrund, dass Corona und ÖV gemäss heutigem Stand sich eher widersprechen als ergänzen. Ob dies langfristig Auswirkungen auf die Nutzung des ÖV’s haben wird, wissen wir heute auch noch nicht.

Sie haben also keine Angst, dass wir in einigen Jahren im Stau ersticken, wenn wir Nein zu dieser S-Bahn sagen?
Nein. Ein Nein zur S-Bahn wäre meines Erachtens vielmehr der Startschuss dazu, Ideen weiterzuentwickeln. Es gibt viele, teils auch visionäre Ideen, die sich meines Erachtens lohnen, dass man sie genauer anschaut.

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