Donnerstag, 5. Dezember 2019

Gemeindegesetz - Abschaffung Grundmandatserfordernis bei der Reststimmenzuteilung

Stärkung der direktdemokratischen Rechte

Landtagsvotum zur Abschaffung des Grundmandatserfordernisses für die Reststimmenzuteilung bei Gemeindewahlen

Ich danke der Regierung für ihren Bericht und die Umsetzung der Motion der Freien Liste, mit welcher Art. 78 Abs. 4 des Gemeindegesetzes aufgehoben werden soll, womit das Grundmandatserfordernis bei der Reststimmenzuteilung abgeschafft würde.

Ich habe mich im Rahmen der Landtagssitzung von Oktober 2018, als die Freie Liste dieses Ansinnen bereits im Rahmen einer 2. Lesung beantragte, positiv zu diesem Ansinnen und zur Abschaffung des Grundmandatserfordernisses bei der Reststimmenzuteilung geäussert. Ich lehnte diesen Antrag damals nur wegen des von der Freien Liste gewählten Vorgehens ab. Es sollte nicht im Rahmen einer 2. Lesung quasi als Querschuss behandelt und eingeführt werden, sondern im ordentlichen Verfahren mittels neuer Motion und mit einer Vernehmlassung, damit den Gemeinden die Möglichkeit einer Stellungnahme gegeben werden kann. Dies ist nun geschehen.

Ich bin nach wie vor für die Abschaffung des Grundmandatserfordernisses bei der Reststimmenzuteilung und somit für die Aufhebung des Art. 78 Abs. 4 des Gemeindegesetzes, weshalb ich für Eintreten auf die Vorlage bin.

Mit der heute gültigen Regelung besteht meines Erachtens ein Demokratiedefizit. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass es immer wieder vorkam, dass mehr als 10 Prozent der abgegebenen Stimmen durch das Raster fielen. Teilweise waren es weit mehr als 10 Prozent, wie das Ergebnis von Balzers 2015 zeigt, wo 16 Prozent der Wählerstimmen bei der Mandatsverteilung unberücksichtigt blieben. Das sind für mich zu hohe Zahlen, die belegen, dass das Ansinnen, welches die Freie Liste beantragte, seine Berechtigung hat. Schliesslich geht es nicht darum, das Grundmandatserfordernis gänzlich in Frage zu stellen, sondern ausschliesslich bei den Reststimmen auch jene Parteien zu berücksichtigen, welche kein Grundmandat erringen konnten. Dieses Ansinnen scheint mir gerechtfertigt zu sein. Es kommt für mich einer Stärkung der direktdemokratischen Grundordnung gleich.

Es gilt nämlich auch zu berücksichtigen, dass die heutige Regelung aus einer Zeit stammt, welche mit den derzeitigen politischen Gegebenheiten nicht vergleichbar ist. Es stammt aus einer Zeit, als die Freie Liste in den Kinderschuhen steckte und es neben der FBP und der VU keine weiteren Parteien gab. Mit dieser geplanten Streichung des Art. 78 Abs. 4 des Gemeindegesetzes reagieren wir auch auf die neue politische Landschaft in unserem Land, weshalb auch deshalb dieses Ansinnen seine Berechtigung hat.

Die Regierung legt in ihrem Bericht auf den Seiten 15 und 16 dar, welche Argumente für und welche gegen Sperrklauseln sprechen.

Für Sperrklauseln spreche ein möglichst hoher Demokratiestandard bei der Umsetzung des Wählerwillens. Der Wählerwille soll möglichst unverfälscht zum Ausdruck kommen und die Vertretung möglichst proportional zu den Wähleranteilen der verschiedenen Parteien ausfallen. Jede Stimme soll das gleiche Gewicht haben, und somit den gleichen Erfolgswert.

Gegen die Sperrklausel spreche die Gefahr der Zersplitterung des Parteiensystems. Damit sei die Gefahr verbunden, dass das politische System dem Anspruch einer möglichst optimalen Leistung gerecht werden könne. Es werde vor dem Aufkommen von ideologisch extremen Klein- oder Regionalparteien gewarnt.

Weshalb die Regierung in ihrem Bericht diesbezüglich von einer Sperrklausel spricht, kann ich nicht nachvollziehen. Wir schaffen mit der Streichung von Art. 78 Abs. 4 des Gemeindegesetzes keine Sperrklausel ab, wir schaffen auch das Grundmandatserfordernis an sich nicht ab, sondern streichen nur das Grundmandatserfordernis bei der Reststimmenzuteilung. Ein kleiner, aber bedeutender Unterschied, der nicht mit einer Abschaffung einer Sperrklausel gleichgesetzt werden kann.

Bei Gemeindewahlen gibt es keine Sperrklauseln im eigentlichen Sinn, dies im Unterschied zu den Landtagswahlen. Dort müssen 8 Prozent der Stimmen erreicht werden, um ins Parlament einzuziehen. Deshalb dürfen meines Erachtens die beiden Wahlverfahren für die Gemeindewahlen und die Landtagswahlen nicht zusammen in einen Topf geworfen werden. Sie sind nicht vergleichbar. Für mich bedeutet die Zustimmung zur Abschaffung des Grundmandaterfordernisses für die Reststimmenzuteilung noch lange nicht, dass ich einer generellen Abschaffung des Grundmandaterfordernisses bei Gemeindewahlen bzw. einer Senkung oder gänzlichen Abschaffung der 8-Prozent-Sperrklausel bei Landtagswahlen zustimmen würde. Das eine hat für mich mit dem anderen nichts zu tun, weshalb ich auch nicht der Vaterländischen Union (VU) zustimmen kann, welche in ihrer Vernehmlassungsstellungnahme von Salamitaktik spricht, um auf allen Ebenen die Sperrklauseln zu senken oder gar ganz abzuschaffen.

Die Regierung hat in ihrem Bericht aufgezeigt, dass die Bedenken einer zu starken Zersplitterung des Parteiensystems jeder Grundlage entbehren. Sie weist aus, dass es bei den letzten drei Gemeindewahlen nur drei Sitzverschiebungen gegeben hätte, wenn das Grundmandatserfordernis bei der Reststimmenzuteilung bereits abgeschafft gewesen wäre. Somit zeigt sich, dass die Auswirkungen zahlenmässig marginal sind. Und deshalb sehe ich die Gefahr einer Zersplitterung des politischen Systems, welche nachteilig auf die politische Arbeit sein soll, nicht.

Auch wenn die Abschaffung des Grundmandatserfordernisses bei der Reststimmenzuteilung zahlenmässig marginal ist, so ist sie in Bezug auf die Demokratiestandards nicht marginal. Die Abschaffung des Grundmandatserfordernisses bei der Reststimmenzuteilung stärkt die Demokratie. Das Argument der Gegner, die das Aufkommen von ideologisch extremen Kleinparteien, die darüber hinaus je nach weiterer Sitzverteilung im Gemeinderat die entscheidende Stimme beziehungsweise das Zünglein an der Waage bei Gemeinderatsbeschlüssen sein können, scheint mir ein eigenartiges Demokratieverständnis zu sein. Opposition gehört zum politischen System dazu, sie ist wichtig für die demokratische Grundordnung. Ich finde es nicht richtig über ein Wahlsystem zu versuchen, die Opposition klein zu halten. So argumentiert nur jemand, der Angst vor zu grosser politischer Konkurrenz hat. Doch politische Konkurrenz schadet nicht dem politischen Prozess und auch nicht der Meinungsbildung, sondern fördert sie. Meinungsvielfalt ist kein Ärgernis, sondern der Grundpfeiler jeder demokratischen Grundordnung.

Und extreme Kleinparteien entstehen nicht durch Wahlgesetze und Wahlsysteme, sondern wegen einer Politik, die von der Bevölkerung nicht mehr getragen wird. Bevor man versucht, über das Wahlsystem solchen Parteien den Einzug in einen Gemeinderat zu verwehren, sollte man sich mit der eigenen Politik auseinandersetzen. In der Folge führt Ausgrenzung nämlich nur dazu, dass solche Extremparteien nur noch stärker werden. Es gibt genügend Beispiele im Ausland, die uns das plakativ vor Augen führen. Glücklicherweise haben wir dieses Problem in Liechtenstein nicht und ich bin optimistisch, dass dies noch lange so bleiben wird.

Und wenn es dazu käme, dass ein Vertreter einer Kleinpartei in einem Gemeinderat das Zünglein an der Waage sein sollte, dann gilt es eben auch auf kommunaler Ebene Koalitionen zu bilden, was beispielsweise in Österreich oder Deutschland gang und gäbe ist. Nur weil man Koalitionen auf kommunaler Ebene bei uns nicht oder noch nicht kennt, sind sie nichts Verwerfliches. Auch solche gehören zur Demokratie einfach nur dazu.

Einige Ausführungen der Vernehmlassungsstellungnahme der Vaterländischen Union sind für mich höchst fragwürdig. Es sieht die zentrale Absicht der Motionäre darin, sich selbst einen Vorteil vom System verschaffen zu wollen. Ich muss hier keine Lanze für die Freie Liste brechen, aber wenn dies ein Argument ist, würde das auch im Umkehrschluss gelten. Wenn man nämlich die Argumentation der ablehnenden Haltung der VU heranzieht, hätte sie ebenfalls die zentrale Absicht, sich einen Vorteil vom System zu verschaffen, indem es versucht, Kleinparteien den Einzug in einen Gemeinderat zu erschweren, um sich selbst mehr Sitze zu ermöglichen. Nicht mehr und nicht weniger. Dieser Vorwurf an die Motionäre ist auch deshalb für mich bedenklich, da die VU in ihrer Stellungnahme selbst schreibt, dass «die Argumente für die Beseitigung des Grundmandatserfordernisses zum Teil nachvollziehbar sind». Wenn man selbst erkennt, dass es Argumente gibt, die für dieses Ansinnen sprechen, sollte man einen solchen Vorstoss akzeptieren und respektieren und nicht der betreffenden Partei Vetternwirtschaft vorwerfen. Ob wir der Politik unseres Landes einen Gefallen tun, wenn wir bei politischen Vorstössen nur Eigeninteresse als Antrieb sehen und uns der Vetternwirtschaft bezichtigen, darf bezweifelt werden. Es ist eher der Politikverdrossenheit zuträglich.

Im Rahmen der Debatte zur Überweisung der Motion hat der DU-Abgeordnete Harry Quaderer in den Raum gestellt, dass die Abschaffung des Grundmandatserfordernisses bei der Reststimmenzuteilung einer Volksabstimmung zugeführt werden soll. Sofern die Vorlage eine Mehrheit findet und er nach der 2. Lesung diesen Antrag stellt, könnte ich diesem Vorhaben einiges abgewinnen. Ich bin grundsätzlich der Meinung, bedeutende Änderungen beim Wahlsystem einer Volksabstimmung zuzuführen. Das Volk soll selbst entscheiden, wie das Wahlsystem ausgerichtet sein soll. Ein solcher Antrag macht für mich auch deshalb Sinn, da dieses Vorhaben in diesem Haus - das zeigt ja unter anderem auch die Stellungnahme der VU - alles andere als unbestritten ist und auch schon die Motion mit nur 14 Stimmen überwiesen wurde. Wenn wir in diesem Haus diese Änderung des Wahlsystems auf Gemeindeebene so differenziert bewerten und uns alles andere als einig sind, stellt es für mich eine Möglichkeit dar, das Volk den endgültigen Entscheid fällen zu lassen. Es geht nicht um irgendein Gesetz, es geht um nichts weniger als eine nicht unerhebliche Abänderung des Wahlsystems bei Gemeindewahlen und dies bedingt hohe Sensibilität.

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